Nachruf auf eine Legende
Charles Bukowski ist tot.
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Gerade haben sie es in der Tagesschau gebracht – sogar mit Bild. "Er
schrieb über Sex und Suff und zeigte dabei seine Verachtung für das Bürgertum
der amerikanischen Mittelklasse", so die Tagesschausprecherin. Halb
angewidert, halb amüsiert las Sabine Christiansen diese Meldung – es wird
wohl das erste Mal in ihrer Karriere gewesen sein, dass sie solche Worte vor
laufender Kamera in den Mund nehmen durfte.
Ja, weit hast Du es gebracht,
Hank. Jetzt bist Du tot und gehörst damit zu denen, die ich ganz bestimmt nicht
mehr persönlich kennen lernen werde. Auf Sex und Suff haben sie Dich reduziert
und auch die Verachtung nicht vergessen, aber wahrscheinlich wäre das auch ganz
in Deinem Sinn gewesen. Für die meisten (Schöngeister, Spießer, Belletristen
und ihre Kritiker) war dieser Bukowski eh nur ein alter Säufer und Hurenbock,
bekannt vor allem – mehr noch als der vergleichsweise brave und intellektuelle
Henry Miller – für seine literarischen Schweinereien, auch wenn sie
vielleicht nie auch nur eine Zeile seiner Prosa gelesen haben, geschweige denn
seine Gedichte.
Für manche verbohrten
Literatinnen war er ein sexistischer Trunkenbold, ein Supermacho mit Säufervisage,
d i e Horrorgestalt feministischer Alpträume. Na ja, mit einem Brett vorm Kopf
sieht eben vieles anders aus, und es war ja auch nicht gerade Frauenliteratur
oder Erbauliches fürs Kaffeekränzchen, was er da in langen Nächten in seine
Schreibmaschine gehämmert hat.
Aber ob ihr's glaubt oder
nicht: Bukowski war ein eher sanfter, zurückhaltender Typ, der Wert darauf
legte, dass er bei der schonungslosen Schilderung seiner Exzesse selbst fast
immer am schlechtesten wegkam. Er war ein sensibler Beobachter und guter
Darsteller – vor allem seiner eigenen Legende. Ein paar Kritiker gingen so
weit, ihn für einen verkappten Faschisten zu halten und warfen ihm vor, dass er
sich geweigert hatte, gegen Hitler und seine Spießgesellen in den Krieg zu
ziehen. Aber stellt euch vor, es war Krieg – und wenigstens einer ist nicht
hingegangen. Er zog es vor, eine Zeit lang in Knast und Irrenhaus zu verbringen
– ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gab es in den USA nicht, aber auch
vor einer deutschen Gewissensprüfungskommission hätte er wohl kaum bestanden.
Warum hätte er sich auch auf
etwas einlassen sollen, das nichts mit ihm zu tun hatte, dessen Sinn ihm nicht
einleuchten wollte. Hätte er erklären sollen, dass ihm der Platz an der Theke
irgendeiner Kneipe lieber sei, als eine Freikarte für den Schützengraben; dass
das Klappern seiner Schreibmaschine angenehmer klang, als das Rattern eines
Maschinengewehrs; oder dass er sich auf einem wackligen Barhocker sicherer fühlte,
als im Innern eines Panzers?
Charles Bukowski, alias Henry
Chinaski, hat lieber auf Pferde gesetzt, als auf die große Politik. Nach seinen
öden Jobs wollte er lieber hungern und im eigenen Mief verkommen, und er zog es
vor, Matratze, Rausch und Leiden an der Welt mit einer Frau zu teilen, als mit
einem Haufen sexhungriger, sportbegeisterter amerikanischer Boys in der dumpfen
Atmosphäre einer Kaserne eingesperrt zu sein.
Unter den Außenseitern und
Verachteten der Gesellschaft hat er sich wohler gefühlt; bei den verkrachten
Existenzen und Verlierern beiderlei Geschlechts war er zuhause. Bukowski kannte
den amerikanischen Alptraum und kommentierte mit zynischem Humor den Aufstieg
der Tellerwäscher zum Fensterputzer. Selbst die Straßenköter und streunenden
Katzen vor seinem Haus beobachtete er nicht ohne Mitgefühl. Mit aggressiver
Offenheit und mit der Zärtlichkeit des Großstadt-Krokodils beschrieb er seine
Antihelden und teilte das Dasein der Underdogs und Undergroundpoeten. Bukowski
hat dazugehört – wenn er es auch nicht geschafft hat, sich tot, dumm oder
gleichgültig zu saufen, so gelang es ihm doch, aus einem katastrophalen Image
ein Markenzeichen und aus einem namenlosen Undergrounddichter einen berühmten
Schriftsteller zu machen.
Bukowski hat viele Fans und
Nachahmer gefunden, nicht zuletzt dank einiger mutiger Verleger, die es gewagt
haben, einer verlogenen Gesellschaft ihre Kehrseite zu zeigen, indem sie ihr
Bukowskis wenig schmeichelhaften Spiegel vorhielten.
Für zahlreiche Autoren der
Nach-68er-Jahre wurde Bukowski zum Vorbild und ist es geblieben (z. B. Jörg
Fauser). Seinem Freund und deutschen Übersetzer Carl Weissner ist es hauptsächlich
zu verdanken, dass er in Deutschland bekannt wurde – eben dem Land, wo während
der Nachkriegswehen der Weimarer Republik seine treu-deutsche Mutter und der
hassgeliebte Vater ihren kleinen Prügelknaben Heinrich Karl Bukowski in die
Welt gesetzt haben.
Als er Anfang der Achtziger
auf seiner legendären "Ochsentour" vor 1500 tobenden Fans in Hamburg
seine einzige Lesung in Deutschland zelebrierte und nach 60 Jahren seinen
Geburtsort Andernach wiedersah, da muss ihm diese "Welt" ziemlich
fremd vorgekommen sein. Aber Deutschland ist eben Andernach und Hamburg nicht
L.A.
Seine Epigonen werden jetzt
trauern und ihrem Idol nachtrinken, sich dabei einen abdichten und ihre Verse
werden meist auf schwachen Füßen stehen, weil sie einen (wo auch immer)
eingeklemmten Schwanz mit einem eigenständigen Stil verwechseln und einen
Sixpack Dosenbier für einen Sechser im Literatur-Lotto halten. Bukowski wird
dabei zum Abziehbild ihrer Wunschträume und seine Themen zur Wichsvorlage
degradiert, wobei das Leben kaum Spuren in den Texten und Gesichtern
hinterlassen wird. Ganz im Gegensatz zu dem Mann mit der Ledertasche und dem
Narbengesicht, der nicht umsonst seine Gedichte geschrieben hat, ehe er jetzt
vom 8. Stockwerk des Parnass in eine ungewisse Zukunft sprang.
Sein Werk sei
Trivialliteratur und Bukowski so etwas wie ein "Konsalik für Freaks",
hat irgend so ein Nachwuchs-Kritiker kurz nach dessen Tod behauptet (was
vermuten lässt, dass er weder den einen noch den anderen gelesen hat). Mit
ungefähr der gleichen Berechtigung könnte man da auch behaupten, Bukowski wäre
ein Stephen King für Spießer, oder ein Bhagwan für Alkoholiker.
In einer –
ansonsten eher langweiligen – Zeitschrift für Literaten las ich im Januar,
dass ein Auftritt Bukowskis als Dozent an der Wiener "Schule für
Dichtung" geplant sei (wo zuvor u. a. auch Allen Ginsberg unterrichtet
hatte). Dazu wird es jetzt nicht mehr kommen, und ich werde von Bukowski auch
keine glatte Eins in die Fresse bekommen, weil ich ihn dabei erwischt und ihm
eins
seiner Gedichte vorgelesen habe. (Lest sein Gedicht "Angenommen, Sie würden
kreatives Schreiben unterrichten – was würden Sie Ihren Studenten
sagen?"
2 aus "Die Girls im grünen Hotel", und ihr werdet wissen
warum.)
Für die, die mehr erfahren
wollen, möchte ich am Schluss meines unqualifizierten Nachrufs noch die
aufschlussreiche Bukowski-Biographie von Neeli Cherkowski empfehlen (Ende 1993
bei dtv erschienen), bei der man manchmal kaum glauben kann, dass Bukowski sie
nicht selbst geschrieben hat und mir der Verdacht kam, dass Cherkowski nur ein
Alter Ego von Henry Chinaski und dem Schlitzohr Charles Bukowski sein könnte.
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Wer den ersten Satz liest, muss nicht
erschrecken und sich dann fragen "Was, hat der noch gelebt?" –
Bukowski ist schon lange tot.
Am 9. 3. 1994 starb er im Alter von 73 Jahren an Blutkrebs. Am Tag
danach habe ich seinen Nachruf verfasst, der im April 1994 in den
Zeitschriften "Impressum" und "Der Störer" erschien.
Den Nachruf veröffentliche ich auch an dieser Stelle, weil Bukowski zu meinen Lieblingsautoren und literarischen Vorbildern
gehört.
Wem es vielleicht genauso geht, der kann hier Original-Manuskripte
von Charles Bukowski (Gedichte und Briefe) lesen.
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Das Original-Gedicht mit dem Titel "Now,
If You Were Teaching Creative Writing" erschien
1977 in "Love is a Dog
From Hell".