Siegfried Schüller
Wahlversprechen kosten nichts ...
(Anmerkung:
Der folgende Text entstand im Frühjahr 1992 im Rückblick auf die erste
gesamtdeutsche Bundestagswahl, die –
zwei Monate nach der Wiedervereinigung – am
2. Dezember 1990 stattfand. Mehr als 20 Jahre sind inzwischen vergangen.
Urteilen Sie selbst – am besten nach den Wahlen! – ob sich im Umgang mit der Wahrheit
gegenüber den Wählern seitdem etwas
geändert hat.)
Mehr
als ein Jahr ist jetzt vergangen seit der ersten Bundestagswahl nach der
Wiedervereinigung. Inzwischen weiß wohl jeder, was von den Versprechungen,
die vor der Wahl gemacht wurden, übriggeblieben ist.
Keinem
Ostdeutschen geht es doch heute schlechter – oder kennen Sie einen? Und die,
denen es besser geht, sind mit ihren neuen Westautos längst vom Randstreifen
auf die Überholspur gewechselt. Die Steuern wurden nicht erhöht – stattdessen
haben wir sogar einen Zuschlag bekommen, den Solidaritätszuschlag. Was
wollen wir mehr?
Die
Preissteigerungsrate ist stabil geblieben, beziehungsweise hat sich sogar
nach oben verbessert. Und dass die Mieten, Benzin- und Fahrpreise,
Kreditzinsen, Rundfunk- und Telefongebühren etc. steigen und die Zigaretten immer
teurer werden, daran bat man sich doch längst gewöhnt – das hat’s auch
schon vor der Vereinigung gegeben.
Und die Mehrwertsteuer? Was die betrifft,
da muss man doch erkennen, dass 15 Prozent eindeutig mehr wert sind als 14.
Oskar
Lafontaine hatte also nicht recht mit seinen Unkenrufen¹ und hat zu Recht die
Wahl verloren. Die Koalition hat richtig kalkuliert, und Kohl ist immer noch
Kanzler. Außerdem: Wer glaubt schon an Wahlversprechen? Wer im Westen daran
geglaubt hat, dem ist nicht zu helfen, der wird's wohl auch weiterhin glauben;
und die Ossis werden ihre Lektion ja hoffentlich gelernt haben und wissen
jetzt auch, dass das Wort "Wahlversprechen" nicht bedeutet, dass da
vor der Wahl jemand etwas verspricht, was danach gehalten wird, sondern dass
hier Politiker die einmalige, kurzfristige Chance nützen, sich vor der Wahl zu
versprechen und hinterher trotzdem recht zu behalten. Außerdem:
Wahlversprechen nach der Wahl zu brechen ist ja schließlich kein Verbrechen! –
Und: Wahlversprechen kosten nichts, können aber dem Machterhalt dienen.
Wenn
etwa Lambsdorff²
oder Kohl kurz vor der Wahl noch versicherten: "Weder
Steuern noch Abgaben werden erhöht, und die Vereinigung wird nicht teuer",
dann wollten sie eigentlich sagen: "Die Steuern werden heuer noch nicht
erhöht, und die Vereinigung wird eine Abgabe" oder so ähnlich. Ganz
unverhofft ist dann kurz nach der Wahl auch noch der Golfkrieg als
kostensteigerndes Argument
dazugekommen. Der hat ja nicht umsonst stattgefunden.
"Golfkrieg" bedeutet ja schließlich nicht, dass sich da ein paar
gutsituierte, ältere Herren auf der grünen Wiese mit ihren Schlägern um ein
Bohrloch prügeln. Sowas weiß man doch!
Wenn
Kohl behauptet hat: "Keinem Ostdeutschen wird es schlechter gehen",
dann heißt das doch noch lange nicht, dass es ihnen deswegen besser gehen
muss, oder?
Und
wenn Lafontaine im Wahlkampf unverblümt die Wahrheit gesagt hat, dann war
doch eigentlich klar: Der will gar nicht Bundeskanzler werden. Und tatsächlich hat
er seine Kandidatur nach der Wahl ja auch gleich wieder abgegeben.
Was
soll man auch von jemand halten, der seine schlechten Karten schon vor dem
Stechen offen auf den Tisch legt und damit auch noch gewinnen will – während die
Zuschauer die Zeche bezahlen sollen? Da kann man doch gleich die wählen, denen
man ihre Versprechungen sowieso nicht glaubt. Wenn man hinterher dafür bezahlen
muss, dann wenigstens mit dem guten Gefühl, dass man das doch gleich geahnt hat.
Jetzt
haben wir also den Kohl, noch fast drei Jahre³ – und der bringt ja bekanntlich
nicht nur Ballaststoffe mit sich, sondern macht eben auch Blähungen.
¹ Der
damalige Kanzlerkandidat der SPD, Oskar
Lafontaine, hatte 1990 davor
gewarnt, dass die Wirtschaft der DDR nach der Währungsunion
zusammenbrechen werde. Er befürchtete, dass dies zu millionenfacher
Arbeitslosigkeit führen werde und prophezeite Steuererhöhungen und
jahrzehntelange Milliardentransfers nach der Wiedervereinigung.
² Otto
Graf Lambsdorff (1926 – 2009) war damals FDP-Vorsitzender.
Ein Unschuldslamb war der 1987
wegen Steuerhinterziehung verurteilte, frühere Wirtschaftsminister jedoch nicht.
³ Tatsächlich
hat sich Helmut Kohl als Kanzler noch
bis zur Bundestagswahl am 27. September 1998 gehalten.
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