(Das alte Märchen neu erzählt mit aktualisiertem Ende)
Der
böse Wolf lag am Boden – gestürzt unter der Last der gefallenen Mauer. Seine
Zunge hing ihm zwischen den Zähnen wie ein roter Lappen aus dem Maul. Er war so
gut wie tot.
Rotkäppchen
aber war frei und hüpfte vergnügt herum. Die Großmutter lag wieder bequem im
gemachten Bett.
Der
Jäger grinste zufrieden und stellte seine Büchse in die Ecke. Das grüne
Mäntelchen und seine soziale Maske hängte er an den Haken, gleich neben die soziale
Schere, mit der er Rotkäppchen und die Großmutter aus dem Bauch des Wolfs
befreit hatte. – Dann nahm er sich aus Rotkäppchens Korb den Wein, den der
Wolf übrig gelassen hatte.
Großmutter
nickte freundlich dazu. „Bedien dich ruhig, guter Jägersmann!“, sprach sie
mit einem aufmunternden Lächeln. „Du hast uns schließlich gerettet. Greif
nur zu und genier dich nicht!“
Da
schnappte sich der Jäger auch den Kuchen. Sogar das Brot, das auf dem Tisch
lag, knabberte er an und schließlich nahm er sich den ganzen Warenkorb vor.
Rotkäppchen
schaute etwas belämmert, als es sah, wie der Jäger nach und nach den Korb
leerte, der eigentlich für die Großmutter gedacht war und von dem sie gehofft
hatte, auch etwas abzubekommen.
„Nun
stell dich nicht so an!“, sagte der Jäger und musterte Rotkäppchen mit gönnerhaftem
Blick. „Schau dir lieber mal dein Käppchen an. Der Stoff ist schon ganz
ausgeblichen, halb zerschlissen und total mit Hartz verklebt. Das kommt davon,
wenn man sich im Wald herumtreibt. Das kriegt man doch nie wieder raus. – Weißt
du was? Wirf das rote Käppchen auf den Müll! – Du bekommst dafür von mir
ein neues Käppchen in viel schöneren Farben: schwarz und gelb gestreift zum
Beispiel.
„Toll!“,
dachte Rotkäppchen. „Dann seh’ ich aus wie eine Tigerente.“ Es musste dem
Jäger aber versprechen, nie wieder vom rechten Weg abzuweichen.
„Und
wenn du Blumen pflücken willst“, sagte der Jäger, „dann musst du sie dir
draußen in der freien, blühenden Landschaft suchen und nicht im dunklen
Wald.“ Er runzelte die Stirn und hob drohend den Zeigefinger: „Und dass du
dich ja nicht mehr mit dem Wolf einlässt!“
Rotkäppchen
merkte sich das alles und dachte: „Nie mehr will ich alleine in den Wald
gehen.“
Und
wenn es kein Märchen wäre, dann hätten sie von da an glücklich und zufrieden
im Wohlstand leben können.